Warum ist das PAG-Neuordnungsgesetz (2. PAG-Novelle 2018) verfassungswidrig?

Katharina Schulze reicht die Klageschrift bei Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein.

Mit dem Gesetz wurde erneut das Polizeiaufgabengesetz (PAG) geändert. Neben einigen Anpassungen an EU-Recht und der Umsetzung von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil zum BKA-Gesetz, wird die Eingriffsschwelle der Polizei abgesenkt und sie erhält eine Vielzahl an neuen Eingriffsbefugnissen, die an vielen Stellen nicht mehr mit der Verfassung vereinbar sind.

Zentraler Kritikpunkt ist der Begriff der „drohenden Gefahr“. Er wurde schon durch die 1. PAG-Novelle 2017 als neue Grundkategorie in das PAG eingeführt und kam danach bei einigen wenigen Eingriffsbefugnissen zur Anwendung. Bis dato konnte die Polizei erst dann tätig werden, wenn eine konkrete Gefahr die Gefahrenabwehr erforderlich gemacht hatte. Mit der neuen Gefahrenkategorie wurde der Tätigkeitsbereich der Polizei weit ins Gefahrenvorfeld vorverlagert. Die Einführung dieses Begriffs im Jahr 2017 ist der verfassungsrechtliche Dammbruch der CSU-Sicherheitspolitik, gegen den die Landtagsgrünen damals klar im Parlament Stellung bezogen haben und gegen den wir bereits eine Klage vor dem BayVerfGH eingereicht haben.

Die zweite Klageschrift

 

Die Grünen haben auch Klage gegen die erste Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes vom Sommer 2017 vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht:

 

Die erste Klageschrift

 

Um was geht es bei der 1. Novelle des Polizeiaufgabengesetzes?

Mit dem Gesetz wurde das Polizeiaufgabengesetz (PAG), das Bayerische Datenschutzgesetz (BayDSG) und das Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) geändert. Anders als oft beschrieben, wurde kein eigenes „Gefährdergesetz“ geschaffen, sondern die allgemeinen, für alle Bürgerinnen und Bürger geltenden Rechtsvorschriften durch die Neuregelung verschärft. Das Gesetz beschränkt die neuen Eingriffsbefugnisse nicht auf die Abwehr terroristischer Bedrohungen, sondern erfasst mit großer Streubreite die gesamte Bevölkerung.  Mit diesem Gesetz werden vor allem drei gravierende Änderungen in die Bayerische Sicherheitsarchitektur eingeführt:

1) Schaffung des Gefahrenbegriffs „drohende Gefahr“

Der Begriff der „drohenden Gefahr“ wird als neue Grundkategorie in das PAG eingeführt. Bislang konnte die Polizei erst dann tätig werden, wenn eine konkrete Gefahr die Gefahrenabwehr erforderlich gemacht hat. Nun wird der Tätigkeitsbereich der Polizei weit ins Gefahrenvorfeld vorverlagert. Es geht um Situationen, in der eine konkrete Gefahr gerade noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestimmbar ist, aber aufgrund gewisser Umstände bereits zu befürchten ist, dass sich eine solche Gefahr in naher Zukunft entwickeln könnte. Der Begriff ist unscharf und wird die zuständigen Polizeieinsatzkräfte und Gerichte vor enorme Anwendungsprobleme stellen.

2) Elektronische Fußfessel im Bereich der präventiven Polizeiarbeit

Der neu geschaffene Art. 32a Abs. 1 S. 1 PAG sieht die Einführung einer elektronischen Fußfessel zur Gefahrenabwehr vor und dient hier vorwiegend der Abschreckung. Diese elektronische Fußfessel ist zur Erreichung der von der CSU-Regierung genannten Ziele aber größtenteils ungeeignet, da ein zu allem entschlossener Täter oder Täterin sich durch diese Aufenthaltsüberwachung nicht abschrecken lassen wird. Insbesondere bei Selbstmordattentaten entfaltet sie keinerlei Wirkung.

3) Einführung der Möglichkeit einer „Unendlichkeitshaft“

Bislang war der polizeiliche Gewahrsam auf eine Dauer von maximal zwei Wochen begrenzt. Bereits diese Zeitspanne war sehr weitreichend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dem Betroffenen keine Straftat vorgeworfen wird (wie z.B. bei der Untersuchungshaft) oder gar ein Strafurteil gegen ihn ergangen ist. Die Neuregelung des Art. 20 S. 1 Nr. 3 PAG sieht nunmehr eine maximale Dauer von drei Monaten für die erste Anordnung vor, diese kann um jeweils wiederum bis zu drei Monaten verlängert werden. Die Präventivhaft hat keine absolute zeitliche Obergrenze, kann also unendlich verlängert werden.

Warum ist das Gesetz verfassungswidrig?

Die Einführung des Begriffs der „drohenden Gefahr“ verstößt gegen das in Art. 3 Abs. 1 Bayerische Verfassung (BV) niedergelegte Bestimmtheitsgebot sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch die Einführung der elektronischen Fußfessel im präventivpolizeilichen Bereich verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Möglichkeit der „Unendlichkeitshaft“ verstößt im Hinblick auf den hohen Rang des Freiheitsgrundrechts offenkundig und in schwerwiegendem Maße gegen unsere Verfassung. Insgesamt besteht durch das Gesetz die Gefahr, dass in erster Linie in die Freiheitsrechte der Normalbürger*innen eingegriffen wird und die Maßnahmen weit über das Ziel hinausschießen.